Verfahrensrecht | Steuergesetze können Rückwirkung entfalten (FG)

    Nach § 50d Abs. 12 Satz 1 EStG hat Deutschland für nachträglich ausgezahlte Abfindungen das Besteuerungsrecht, auch wenn der Wohnsitz des Abfindungsempfängers nicht mehr im Inland ist. Dies gilt selbst dann, wenn die vertragliche Vereinbarung der Abfindung bereits vor Geltung der gesetzlichen Regelung erfolgte. Ein Verstoß gegen EU-Recht oder Verfassungsrecht liegt darin nicht (Hessisches FG, Urteil v. 21.11.2023 - 10 K 1421/21; Revision anhängig, BFH-Az. VI R 3/24).

    Hintergrund: Bis 2016 konnte eine anlassbezogene Abfindung in Deutschland vollständig steuerfrei sein, wenn der Zahlungsempfänger bei Zufluss seinen Wohnsitz in einem Land hatte, welches nach einem DBA vorrangig das Besteuerungsrecht hatte. § 50d Abs. 12 EStG, der ab dem 01.01.2017 gilt, sorgt dafür, dass auch die anlassbezogene Abfindung in Deutschland der Einkommenssteuer unterliegt. Das Gesetz fingiert dabei, dass die Abfindung als nachträglicher Arbeitslohn anzusehen ist.

    Sachverhalt: Die Klägerin ist Arbeitnehmerin, die ihr Arbeitsverhältnis einvernehmlich mit dem Arbeitgeber im Jahr 2016 beendet und als Ausgleich eine Abfindung vereinbart hatte. Die Abfindung wurde auf Wunsch der Klägerin jedoch erst im Folgejahr zur Auszahlung gebracht. Zu diesem Zeitpunkt war die Klägerin bereits nach Malta verzogen.

    Das beklagte Finanzamt setzte die Einkommensteuer für 2017 unter Berücksichtigung des geänderten Wohnsitzes, aber unter Einbeziehung der gezahlten Abfindung fest. Die Klägerin war hingegen der Auffassung, dass eine Besteuerung in Deutschland unzulässig sei, da die Regelung des § 50d Abs. 12 Satz 1 EStG zum Zeitpunkt der Abfindungsvereinbarung und ihres Wegzugs nach Malta weder existiert habe noch absehbar gewesen sei und ihr daher Vertrauensschutz zukomme. Sie habe nicht mit einer Gesetzesverschärfung rechnen müssen, so dass eine Rückwirkung vorliege, die im Steuerrecht generell unzulässig sei.

    Der 10. Senat des Hessischen FG hat die Klage abgewiesen:

    • Im Steuerrecht liegt eine verbotene RĂĽckwirkung im Grundsatz nur vor, wenn der Gesetzgeber eine bereits entstandene Steuerschuld nachträglich abändert.
    • Ă„nderungen von Gesetzen, die erst in einem nachfolgenden Besteuerungszeitraum gelten, sind hingegen regelmäßig zulässig.
    • Im Einkommensteuerrecht finden Rechtsänderungen typischerweise veranlagungszeitraumbezogen statt, so dass Steuerpflichtige im Regelfall auch keinen Vertrauensschutz in die Weitergeltung einer (alten) Regelung haben.
    • Im Streitfall kommt hinzu, dass die Klägerin es unterlassen hat, sich gegenĂĽber ihrem Arbeitgeber eine (u.U. in Deutschland noch steuerfreie) Auszahlung noch im Jahr 2016 vorzubehalten.
    • Bei der Abwägung des Vertrauens der Klägerin auf Fortgeltung der alten Rechtslage mit dem durch die Gesetzesänderung verfolgten Interesse der Allgemeinheit an der Sicherung des Steueraufkommens ĂĽberwiegt das legitime Allgemeininteresse.

    Hinweis:

    Gegen das Urteil ist Revision beim BFH eingelegt worden (Az.: VI R 3/24). Der Volltext der Entscheidung liegt zurzeit noch nicht vor.

    Quelle: Hessisches FG, Pressemitteilung v. 16.1.2024 (il)

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