Kindergeld | Anspruch für Stiefkinder (FG)

    Die Berücksichtigungsfähigkeit eines Kindes nach § 63 Abs. 1 Nr. 2 EStG beim Stiefelternteil als "Kind des Ehegatten" erlischt weder durch die Scheidung des Stiefelternteils vom leiblichen Elternteil noch dadurch, dass das Kind zwischenzeitlich den Haushalt des Stiefelternteils verlassen hat (FG Baden-Württemberg, Gerichtsbescheid v. 4.8.2023 - 13 K 254/23, rechtskräftig).

    Sachverhalt: Streitig ist, ob die Klägerin für ein in ihren Haushalt zurückgekehrtes Stiefkind, das nach der Trennung von ihrer Lebenspartnerin zwischenzeitlich wieder bei dieser bzw. beim leiblichen Vater lebte, kindergeldberechtigt ist. Die Klägerin hat ein Stiefkind, mit dessen leiblicher Mutter (M) sie in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft und in einem gemeinsamen Haushalt lebte. Im gemeinsamen Haushalt lebten neben den beiden leiblichen Kindern der Klägerin auch die leiblichen Kinder der Lebenspartnerin, die mit Eintragung der Lebenspartnerschaft Stiefkinder der Klägerin wurden. Nach der Trennung der Klägerin von ihrer Lebenspartnerin zog diese mit ihren beiden leiblichen Kindern aus. In der Folge zog zunächst ein Kind der Lebenspartnerin und später, nachdem dieses zwischenzeitlich bei seinem Vater lebte, auch das zweite Kind der Lebenspartnerin zurück zur Klägerin, welche beide Kinder in ihren Haushalt aufnahm. Die leiblichen Eltern hatten einer Auszahlung des Kindergeldes an die Klägerin zugestimmt. Beide Kinder leben seit ihrem Rückzug zur Klägerin bei dieser mit alleinigem Wohnsitz. Die leiblichen Eltern treffen die Kinder nur in unregelmäßigen Abständen ein bis zweimal im Monat.

    Die beklagte Familienkasse (Beklagte) lehnte eine Auszahlung des Kindergeldes an die Klägerin ab, da die Kinder zwischenzeitlich den Haushalt der Klägerin verlassen haben und das "Stiefkindverhältnis" mithin erloschen sei.

    Das FG gab der hiergegen erhobenen Klage statt:

    • Gemäß § 63 Abs. 1 Nr. 2 EStG werden auch die vom Berechtigten in seinen Haushalt aufgenommenen Kinder seines Ehegatten als Kinder berücksichtigt. Gleiches gilt gem. § 11 Abs. 2 Lebenspartnerschaftsgesetz im Falle einer eingetragenen Lebenspartnerschaft.
    • Vom Berechtigten in seinen Haushalt aufgenommene Kinder des Ehegatten können auch nach Auflösung der Ehe nach § 63 Abs. 1 Nr. 2 EStG berücksichtigt werden.
    • Der Senat legte diese Vorschrift dahingehend aus, dass zu den Kindern des Ehegatten bzw. Lebenspartners auch die Kinder des verstorbenen oder geschiedenen Ehegatten bzw. Lebenspartners zählen, und zwar unabhängig davon, ob diese „durchgehend“ im Haushalt des Stiefelternteils verbleiben.
    • Für diese Auslegung spricht die gesetzliche Regelung des § 1590 BGB.
    • Gemäß § 1590 Abs. 1 i.V.m. § 1589 Abs. 1 BGB ist die Klägerin mit ihren Stiefkindern im ersten Grade verschwägert. Die Schwägerschaft dauert nach dem klaren Wortlaut des § 1590 Abs. 2 BGB fort, auch wenn die Ehe, durch die sie begründet wurde, aufgelöst ist. Entgegen der Auffassung der Beklagten kann das "Stiefkindschaftsverhältnis" mithin schon aus Rechtsgründen nicht erlöschen. Diese gesetzliche Wertung ist mangels entgegenstehender Regelungen auch im Rahmen des § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG zu beachten.
    • Eine Auslegung dahingehend, dass Stiefkinder im Rahmen des § 63 Abs. 1 Nr. 2 EStG unabhängig vom Fortbestehen der Ehe berücksichtigungsfähig bleiben, erscheint auch im Lichte des Art. 6 Abs. 1 GG zum Schutz der Familie als geboten. Wie gerade der vorliegende Fall zeigt, können sich insbesondere nach langem Zusammenleben der Stiefkinder mit dem Stiefelternteil und dessen leiblichen Kindern enge familiäre Bindungen entwickeln. Dementsprechend werden Stiefkinder leiblichen Kindern rechtlich - auch im Steuerrecht - weitgehend gleichgestellt.
    • Sachliche Gründe für eine Benachteiligung des Verhältnisses Stiefelternteil/Stiefkind ausgerechnet im Kindergeldrecht, welches in besonderer Weise zur Sicherung des Kindeswohls ausgelegt ist, sind nicht ersichtlich. Etwaigen Besonderheiten im Hinblick auf die „Stiefkindseigenschaft“ und die Abgrenzung der Kindergeldberechtigung zwischen verschiedenen Berechtigten wird nach Auffassung des Senats insbesondere durch das Kriterium der Haushaltsaufnahme in § 63 Abs. 1 Nr. 2 und § 64 Abs. 2 Einkommensteuergesetz Rechnung getragen.
    • Gründe für eine Differenzierung dahingehend, ob das Stiefkind nach Auflösung der Ehe bzw. Lebenspartnerschaft im Haushalt des Stiefelternteils „durchgehend verbleibt“ oder zwischenzeitlich auszieht, wie dies von der Beklagten unter Bezugnahme auf A 12 Abs. 2 DA-KG angenommen wird, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Eine solche Differenzierung erscheint im Übrigen dem Kindeswohl abträglich.
    • Besonders deutlich wird dies am Beispiel der alternativen Fallgestaltung, dass die Ehe nicht durch Scheidung, sondern durch den Tod des leiblichen Elternteils aufgelöst wird und das Stiefkind sodann vorübergehend (z.B. wegen Depression des Stiefelternteils) bei Verwandten untergebracht wird. Es erscheint als Wertungswiderspruch, wenn das Kindergeldrecht in einer solchen Konstellation der späteren Rückkehr des Kindes zum Stiefelternteil und in die bisherige gemeinsame Familie finanzielle Hindernisse bzw. Nachteile in den Weg legt.
    •  Soweit den Ausführungen in A 12 Abs. 2 DA-KG eine "temporale" Auffassung des Tatbestandsmerkmals "in seinen Haushalt aufgenommen" zu Grunde liegen sollte, wonach eine zeitliche Kongruenz zwischen dem Zeitpunkt der Haushaltsaufnahme und des Bestehens der Ehe für eine Berücksichtigungsfähigkeit nach § 63 Abs. 1 Nr. 2 EstG vorliegen muss, wird diese vom Senat nicht geteilt. Für eine solche Auslegung gibt weder der Wortlaut der Vorschrift Anhaltspunkte noch gebietet eine solche das Telos der Vorschrift.
    • Soweit in einem Urteil des FG Baden-Württemberg v. 1.3.2000 - 14 K 293/98, EFG 2000, 795 in einem obiter dictum eine gegenteilige Auffassung vertreten worden ist, vermag sich der erkennende Senat dieser nicht anzuschließen. Soweit ersichtlich sieht der 14. Senat den Grund für die Vorschrift des § 63 Abs. 1 Nr. 2 EStG darin, dass solange die Stiefkinder im gemeinsamen Haushalt des leiblichen Elternteils und des Stiefelternteils leben, noch ein Obhutsverhältnis zum leiblichen Elternteil fortbesteht. § 63 Abs. 1 Nr. 2 EStG schließe insoweit eine gesetzliche Lücke für Stiefkindschaftsverhältnisse, welche mit der Trennung der Ehegatten entfalle.
    • Nach Auffassung des Senats greift diese Auslegung zu kurz. Sie reduziert die Vorschrift auf eine Art „verwaltungstechnische Zuordnungsmöglichkeit“ der Kinder im Rahmen einer neuen Ehe und lässt den Aspekt außer Betracht, dass das Kindergeld der steuerrechtlichen Freistellung des Familienexistenzminimums und der Förderung der Familie dient.
    • Diese Entlastung und Förderwirkung soll grundsätzlich zunächst derjenigen Person zukommen, welche das Kind in seinen Haushalt aufgenommen, diesem Unterhalt gewährt und in seine Familie integriert hat.

    Quelle: FG Baden-Württemberg, Newsletter 2/2023 v. 29.12.2023 (il)

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