Im Namen des Volkes – Süß und ehrenvoll ist es, Steuern zu zahlen

    Im Namen des Volkes

    Schräge Geschichten aus Gesetzgebung, Rechtsprechung und Verwaltung

    In seiner Kolumne „Im Namen des Volkes“ teilt Ralf Sikorski mit unseren Leserinnen und Lesern Auszüge aus der Neuauflage seines gleichnamigen Buches

    Ich heiĂźe Ralf Sikorski und Sie herzlich willkommen.

    „Bekanntermaßen schmerzt es mehr, als Einkommensteuer zahlen zu müssen, keine Einkommensteuer zahlen zu müssen“
    wusste schon Lord Thomas R. Dewar (1864-1930), ein englischer Politiker. In der Tat ist der Mensch – und ganz besonders der Deutsche – ein mehr als sonderbares Wesen, das immer härter für das Privileg, immer mehr Steuern zahlen zu dürfen, arbeitet. Nach einer Untersuchung der Vereinten Nationen in 141 Staaten zahlen die Bürger in Deutschland (und Österreich!) viel lieber Steuern als die Einwohner von Mazedonien und Montenegro. Aber warum neigen wir zur Selbstkasteiung? Ist dieses Phänomen historisch gewachsen? Was passierte da in unserer Vergangenheit?

    Der redliche BĂĽrger erlebt heutzutage sein Dilemma nicht mit der Polizei, sondern mit dem Finanzamt
    Und woher kommt diese Hassliebe der Deutschen zu ihrem Steuerstaat, der unersättlich ist? In Karikaturen, aber auch in der Lebenswirklichkeit begegnen uns immer wieder Beispiele dafür. So liest man auf einem Kassenzettel einer Gastwirtschaft im schönen Plauen (Sachsen) folgenden Text:

    „Das Finanzamt Plauen hat sich riesig gefreut,
    heute mit Ihnen am Tisch zu sitzen.
    Von der oben aufgefĂĽhrten Mehrwertsteuer
    Werden unsere Politiker honoriert,
    Stuttgart 21 und der Berliner Flughafen gebaut.
    Die Banken werden gerettet und
    Die FlĂĽchtlingshilfe wird finanziert.
    Vielen Dank für Ihren Beitrag dazu.“

    Bei einem sonntäglichen Bummel an einem herrlichen Maitag durch die belebte Frankfurter Innenstadt entdeckt man am Fenster einer Eisdiele folgenden Hinweis:

    „Das Verzehren von Eis in Waffelhörnchen
    an unseren Tischen ist finanzamtlich verboten.“

    Vater Staat wird uns noch unter Mutter Erde bringen
    Das Steuerrecht, wie wir es heute kennen, ist viel zu fragmentiert und zu kompliziert. Einem so unbedeutenden Thema wie der Festsetzung eines Verspätungszuschlags widmet der Gesetzgeber in § 152 AO ernsthaft 867 Wörter in 13 Absätzen. Und die Bundesfinanzverwaltung ergänzt diese umfangreichen Ausführungen im Anwendungserlass dazu nochmals um 2.967 Wörter, aber auch die einzelnen Finanzverwaltungen der Länder lassen uns ihre Rechtsauffassung dazu im vorbildlich gelebten Föderalismus zusätzlich wissen (z. B. AO-Kartei BY, Karte 1 zu § 152 mit 1.487 Wörtern; AO-Kartei NRW, Karte 801 zu § 152 mit 2.130 Wörtern).
    Und wir regeln wirklich alles, was uns an Problemfeldern einfällt, und das auch noch bis ins kleinste Detail. Das Steuerrecht in Deutschland ist völlig aus dem Ruder gelaufen und kommt nicht zur Ruhe. Es begegnet seit Jahren einer Regelungsflut, weil offenbar jedes politische Problem durch Änderungen im Steuerrecht begleitet werden muss. Der Gesetzgeber wird nicht müde, ständig neue Beratungsfelder zu eröffnen, die von der Finanzverwaltung mit einer Flut von Verwaltungsanweisungen begleitet werden und infolgedessen auch die Finanzgerichtsbarkeit intensiv beschäftigen. Die entsprechenden Urteile führen dann wieder zur hektischen Betriebsamkeit innerhalb der Verwaltung, die wieder neue Verwaltungsanweisungen erlässt . . usw . . . usw. Das Schreiben des Bundesministers der Finanzen zur sog. Abgeltungsteuer, die seinerzeit als Steuervereinfachung gefeiert wurde, hat auf 120 Seiten nicht mehr und nicht weniger als 325 Randziffern – zur Erläuterung einer einzelnen Vorschrift im Einkommensteuerrecht.

    Mein Lieblingsberuf: Steuerberater(in)
    Und obwohl wir in einem Land leben, das Unternehmern vorschreibt, wie ihre Rechnungen auszusehen haben, und gesetzlich festlegen, dass Kassenbons bei Bargeschäften zur Vermeidung von Steuerhinterziehungen millionenfach ausgedruckt werden müssen und infolge dessen die Kosten der Rechtsverfolgung durch Beauftragung eines Steuerberaters ständig steigen, gibt es immer wieder Menschen, die in entsprechenden Gesprächen äußern, dass der Beruf des Steuerberaters oder eines anderen rechtsberatenden Berufs ein Traumberuf sei. So wie Elvira Tietze.

    Elvira hat sich mit etwas Verspätung einen beruflichen Traum erfüllt. Mit 45 Jahren legte sie die Steuerberaterprüfung ab und machte sich selbstständig. Da sie auch neun Jahre nach Eröffnung ihrer Kanzlei immer noch keine Gewinne, sondern ausschließlich Verluste erzielte – was selbst für diese Berufsgruppe eher ungewöhnlich erscheint – recherchierte der für sie zuständige Finanzbeamte ein wenig und stellte dabei einen doch etwas ungewöhnlichen Sachverhalt fest. Die Umsätze betrugen in den genannten Jahren regelmäßig zwischen 2.000 EUR und 3.000 EUR, in einem Jahr sogar nur rund 600 EUR. Da die Ausgaben in allen Jahren erheblich höher waren, ergaben sich schwankende Verluste zwischen 4.000 EUR und 19.000 EUR jährlich.
    Eine solche Tätigkeit ist auf Dauer nicht geeignet, einen Gewinn zu erzielen oder zum Lebensunterhalt beizutragen, resümierte der zuständige Finanzbeamte folgerichtig. Bei seinen Nachforschungen stellte der Finanzbeamte P. Nibel fest, dass die Eheleute über erhebliche Arbeits-, Renten- und Kapitaleinkünfte von durchschnittlich jährlich 80.000 EUR bis 100.000 EUR verfügten, die aber ausschließlich der deutlich ältere Ehemann erzielte. Die Versorgung der Kanzleiinhaberin sei also durch den Ehemann gewährleistet, eine existenzielle Notwendigkeit der eigenen Tätigkeit bestehe daher nicht. Das Finanzamt lehnte daher die Anerkennung der Verluste im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung ab, da die Verluste offenbar aus persönlichen, nicht aus wirtschaftlichen Gründen hingenommen werden. Das Finanzgericht Köln folgte diesen Überlegungen (FG Köln, Urteil vom 19.5.2010, 10 K 3679/08):

    „Zwar stellt die Tätigkeit eines Steuerberaters gewöhnlicherweise nicht eine Tätigkeit dar, die vornehmlich zum Zwecke der Befriedigung persönlicher Neigungen betrieben wird, sondern dem „Broterwerb“ dient, jedoch ist der Senat im zu entscheidenden Fall zu der Überzeugung gelangt, dass die Klägerin ihrer Tätigkeit nicht aus Gründen der Gewinnerzielungsabsicht, sondern aus persönlichen Beweggründen nachkommt.
    Zu berücksichtigen ist, dass die Klägerin ihre Kanzlei aus einem einzelnen Raum, welcher der Wohnung angegliedert war, ohne Mitarbeiter betrieb. Bereits insoweit unterscheidet sich die Art des Kanzleibetriebs grundlegend von dem Betrieb anderer Steuerberaterkanzleien.
    Soweit die Klägerin in der mündlichen Verhandlung nunmehr Rechnungen für ein Kanzleischild sowie eine Eintragung ins Telefonbuch und eine Visitenkarte vorlegt, stellt der Senat fest, dass diese aus der Zeit unmittelbar vor der mündlichen Verhandlung datieren. Hier entsteht der Eindruck, dass diese Maßnahmen erst im Hinblick auf die anstehende Verhandlung ergriffen wurden.
    Dem Senat ist bekannt, dass die Klägerin zwar in mehreren Fällen Steuerpflichtige vor Gericht vertritt. Allerdings entspricht die dort gezeigte Verfahrensweise nicht dem, was nach Ansicht des Senates von einem auf den wirtschaftlichen Erfolg seiner Kanzlei bedachten Steuerberater erwartet werden kann, da die Klägerin regelmäßig angeforderte Unterlagen nicht oder erst nach Erinnerung beibringt, Fristen zur Klagebegründung versäumt und zu den mündlichen Verhandlungen nicht erscheint. Die Art der Wahrnehmung der Aufgaben durch die Klägerin bestärkt den Senat in der Überzeugung, dass die Tätigkeit der Klägerin nicht geeignet ist, auf Dauer einen Totalgewinn zu erzielen.“

    Der Kernaussage des Gerichts „Die Tätigkeit eines Steuerberaters kann auch vornehmlich zum Zweck der Befriedigung persönlicher Neigungen betrieben werden“ muss allerdings entschieden widersprochen werden. Nein, eigentlich neigen alle Steuerberater zur Selbstkasteiung und üben ihre Tätigkeit ausschließlich zur Befriedigung dieser persönlichen Neigungen aus. Gottlob kann man aber gleichwohl ganz gut davon leben, zumal die meisten Steuerberater doch etwas anders arbeiten als Elvira Tietze. Der moderne Steuerberater hält es mit dem ehemaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt, der in einem Interview einmal erklärt hatte: „Wer die Pflicht hat, Steuern zu zahlen, hat auch das Recht, Steuern zu sparen.“

    Ich freue mich darauf, in den nächsten Wochen noch weitere Anekdoten mit Ihnen teilen zu können. Und bis dahin halten Sie es vielleicht mit Ovid (43 v. Chr. – 18 n. Chr.), der neben Vergil einer der wirkungsmächtigsten Dichter der Weltliteratur war: „Dat census honores - Reichtum bringt Ansehen“ ist ein Zitat, mit dem er hohe Steuerzahlungen rechtfertigte, weil nur sie der Beweis dafür sind, dass es uns finanziell gut geht.

    Ăśber Ralf Sikorski
    Dipl.-Finanzwirt Ralf Sikorski war viele Jahre Dozent an der Fachhochschule für Finanzen in Nordrhein-Westfalen mit den Schwerpunkten Umsatzsteuer und Abgabenordnung und anschließend Leiter der Betriebsprüfungsstelle in einem Finanzamt. Seine Dozentenrolle nahm er daneben als Unterrichtender in Steuerberaterlehrgängen und Bilanzbuchhalterlehrgängen wahr, heute ist er noch in zahlreichen Fortbildungsveranstaltungen tätig, u. a. in den sog. Bilanzbuchhalter-Updates. Darüber hinaus hat er sich als Autor unzähliger steuerlicher Lehr- und Praktikerbücher insbesondere zu den o. g. Fachbereichen und Herausgeber eines Kommentars zur Abgabenordnung einen Namen gemacht. Seine Stilblütensammlungen „Meine Frau ist eine außergewöhnliche Belastung“, „Wo bitte kann ich meinen Mann absetzen“, „Ich war Hals über Kopf erleichtert“ und ganz aktuell „Im Namen des Volkes“ sowie das Märchenbuch „Von Steuereyntreibern und anderen Blutsaugern“ runden sein vielfältiges Tätigkeitsbild ab.

    Hinweis:
    Die Illustration stammt von Philipp Heinisch, der seine Anwaltsrobe 1990 an den Nagel hängte und Zeichner, Maler und Karikaturist wurde (www.kunstundjustiz.de).

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