Die elektronische AU-Bescheinigung verspätet sich

    Die Digitalisierung in Deutschland beinhaltet ein Projekt, das nicht vorankommt: die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Ende 2019 beschlossen, sollte sie ab Januar 2022 starten. Das wird nun verschoben und von vielen Fragen begleitet.

    Der ursprüngliche Zeitplan

    Der Bundestag hatte bereits im November 2019 das dritte Bürokratieentlastungsgesetz beschlossen. Damit war die Einführung der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) verbunden. Die eAU soll der Ersatz für den in Papierform bekannten „gelben Schein“ werden. Der Starttermin war für den 1. Januar 2022 geplant. Doch daraus wird weiterhin nichts – die Pandemie und die schlechte IT-Infrastruktur in den Praxen machen den Plänen einen Strich durch die Rechnung.

    Einführung in zwei Schritten

    Mit der Einführung der eAU soll einerseits das Entgeltfortzahlungsgesetz geändert werden. Es ist vorgesehen, dass arbeitsunfähige Beschäftigte ihren Arbeitgebern nicht mehr die ärztliche Bescheinigung aushändigen müssen (§ 5 Abs. 1a EFZG).

    Stattdessen sollen die Arztpraxen den Krankenkassen Daten zur Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung übermitteln und die Kassen den Arbeitgebern den elektronischen Abruf ermöglichen (§ 109 SGB IV). Aus einer „Bringschuld“ des Arbeitnehmers soll also eine „Holschuld“ des Arbeitgebers werden.

    Zur Umsetzung sollte zunächst die Kommunikation zwischen Arzt und Krankenkasse eingerichtet werden, dann sollte die Bereitstellung von den Krankenkassen an die Arbeitgeber erfolgen. Das aber hapert enorm.

    Fehlende Technik verhindert Datenaustausch

    Die Datenübermittlung durch die Praxen an die Krankenkassen war zunächst für den 1. Januar 2021 geplant. Der Beginn wurde jedoch im Sommer 2021 im Rahmen einer Übergangsvereinbarung zwischen Kassenärztlicher Bundesvereinigung und GKV-Spitzenverband auf den 1. Oktober 2021 verschoben.

    Schon damals hatten Kassenärztliche Bundesvereinigung und GKV-Spitzenverband vorausschauend vorgesehen, dass bis zum Jahresende 2021 Papierbescheinigungen verwendet werden dürfen, solange die notwendigen technischen Voraussetzungen zur Übermittlung von elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen in der Vertragsarztpraxis noch nicht zur Verfügung stehen. Das scheint flächendeckend der Fall zu sein.

    Doch auch diese Übergangszeit könnte wieder wanken, wie einer Ende Oktober veröffentlichten Stellungnahme der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein entnommen werden kann, die die Einführung zum 1. Oktober für „krachend gescheitert“ hält und bereits eine weitere Verschiebung bis zum Sommer 2022 fordert.

    Es bleibt also vorerst dabei, dass bis zum Jahresende die Kommunikation zwischen dem behandelnden Arzt und der Krankenversicherung auch noch über das bisherige Papierformular erfolgen kann. Ab Januar 2022 soll der Datenaustausch ausschließlich digital geschehen.

    Ohne Daten kein Abruf durch den Arbeitgeber

    Eine weitere Verschiebung würde mit dem Zeitplan für den „zweiten Teil“ der eAU kollidieren: dem Startzeitpunkt für die digitale Bereitstellung der AU-Daten durch die Krankenkassen für die Arbeitgeber. Der war ursprünglich auch schon für den 1. Januar 2022 vorgesehen. Er wurde aber vom Gesetzgeber im Juni des vergangenen Jahres auf den 1. Juli 2022 verschoben. Gleichzeitig wurden die Vorschriften im SGB IV um Regelungen für Minijobs erweitert. Wenn Vertragsärzte sogar noch bis zum 30. Juni 2022 neben der digitalen Übermittlung der AU-Daten an die Krankenkassen eine Papierbescheinigung ausstellen würden, dürfte es nach der bisherigen Erfahrung schwer werden, einen eingespielten Abrufprozess für Arbeitgeber ab dem 1. Juli 2022 nutzen zu können.

    AU-Vorlagepflicht für Beschäftigte verlängert

    Solange Ärzte den Krankenversicherungen keine elektronischen Krankendaten schicken und Versicherungen diese Daten dem Arbeitgeber nicht zur Verfügung stellen können, wäre es wenig sinnvoll, die Beschäftigten von der Pflicht zur Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu befreien. Der Gesetzgeber hat daher im Februar 2021 kurzerhand das Inkrafttreten des neuen § 5 Abs. 1a EFZG auf den 1. Juli 2022 verschoben. Bis dahin bleibt § 5 EFZG also unverändert.

    Folgen für Arbeitnehmer und Arbeitgeber

    Arbeitnehmer müssen sie weiterhin den Arbeitgeber ungeachtet aller vorgesehenen Änderungen über ihre Arbeitsunfähigkeit informieren. Denn § 5 Abs. 1 Satz 1 EFZG wurde und wird nicht abgeschafft.

    Und bis zum 30. Juni 2022 müssen Beschäftigte ihrem Arbeitgeber auch weiterhin die Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit vorlegen. Erst ab dem 1. Juli 2022 wird diese Pflicht aufgehoben und durch die Abrufmöglichkeit für den Arbeitgeber ersetzt.

    Digitalisierungschance(n) verpasst

    Die elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist nicht nur ihrem Zeitplan hinterher. Sie bleibt umständlich. Denn nach Krankmeldung des Beschäftigten wird sich der Arbeitgeber auf die Suche nach Krankheitsdaten bei der Krankenkasse machen müssen. Das ist kein wirklicher Fortschritt für Arbeitgeber. Hilfreich wäre stattdessen ein elektronisches System, dass ein einfaches und automatisches „Überspielen″ der zur Verfügung gestellten Daten in die Personalverarbeitungssysteme der Unternehmen ermöglichen würde: die automatische eAU nach dem Arztbesuch. Aber dies ist noch in weiter Ferne.

    Martin Lützeler

    Dieser Beitrag wurde zuerst auf dem CMS-Blog veröffentlicht.

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