Das Yin & Yang im Konzern - Die Chinese Accounting Standards

Immer mehr deutsche Unternehmen haben eine chinesische Muttergesellschaft und müssen entsprechend bilanzieren. 2006 führte das chinesische Finanzministerium ein überarbeitetes Rechnungslegungsprinzip ein: Die Chinese Accounting Standards, kurz CAS genannt, traten zum 01.01.2007 in Kraft. Die CAS beinhalten große Teile der IFRS und berücksichtigen an ausgewählten Stellen die chinesischen Gegebenheiten. Die CAS unterscheiden sich grundsätzlich vom HGB, was oft zu Missverständnissen und Unverständnis auf beiden Seiten führt. Über die Herausforderungen, die Unterschiede zu HGB und IFRS sowie die Kulturunterschiede sprachen wir mit Frau Rong Wang. Sie ist Wirtschaftsprüferin, Steuerberaterin, Mitglied des CICPA bei Deloitte GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft und Dozentin bei der Akademie für internationale Rechnungslegung.

Welche Herausforderungen gibt es für deutsche Unternehmen?

Wang: Die Chinese Accounting Standards (CAS) kommen bei deutschen Unternehmen zum Tragen, wenn deren Gesellschafter chinesische In­vestoren sind. Die Herausforderungen decken drei Aspekte ab: Organisa­torisches – Inhaltliches – Kulturelles.

Wie stellt sich organisatorisch die Situa- tion dar?

Wang: Während deutsche Tochterunternehmen meistens aus dem Mittelstand stammen, sind die Mutterunternehmen hingegen chinesische Staatsunternehmen und/oder börsennotierte Unternehmen. Sie erstellen den Konzernabschluss nach den CAS. Hier müssen die Jahresabschlüsse der deutschen Tochterunternehmen einbezogen werden. Das Einbeziehen erfolgt nicht einfach durch den Versand des Jahresabschlusses, der nach HGB er­ stellt wird, sondern durch die Meldung des Berichtspakets – das sogenannte Reporting­-Package. Dieses Reporting-­Package ist eine standardisierte Vor­lage, welche das chinesische Mutterunternehmen vorgibt. Durch sie werden alle erforderlichen Informationen für Konsolidierungszwecke eingesammelt.

Da in China umfangreiche Offenlegung sog. Disclosure notwendig sind, haben deutsche Gesellschaften Anpassungsprobleme. Insbesondere verstehen die Tochterunternehmen nicht, warum sie mit einer verhältnismäßig kleinen Firmengröße und verhältnismäßig kleiner Gewichtung in der Unternehmensgruppe deutlich mehr Tabellen auszufüllen haben, als bisher. Das Mutterunternehmen interessiert sich zudem nicht nur für die Offenlegung von Risiken und negativen Auswirkungen, sondern auch für positive Auswirkungen.

Gibt es Unterschiede bei zeitlichen Abläufen oder Fristen?

Wang: Deutsche Tochterunternehmen haben sich an die lange Frist zur Erstellung des Jahresabschlusses gewöhnt. Chinesische Mutterunter­ nehmen geben jedoch enge Reporting­fristen vor, die sogar von Jahr zu Jahr variieren können. Von nahezu allen deutschen Tochterunternehmen werden diese als sehr sportlich bezeichnet.

Ist nach der Fertigstellung bzw. der Prüfung des Jahres- oder Zwischenkonzernabschlusses die Arbeit getan?

Wang: Nein. Vom chinesischen Mutterkonzern kommen nach der Abgabe des Reporting-Packages noch Fragen und Anforderungen nach weiteren Unterlagen bzw. Tabellen aus vielen anderen Quellen. Sei es von der Finanz­- und Controlling-­Abteilung der Konzernmutter oder von dem so­ genannten Konzernabschlussprüfer des Mutterunternehmens, der nicht unbedingt Englisch oder Deutsch spricht. Neben dem Jahresabschluss muss das Tochterunternehmen zudem noch Monatsabschlüsse und Quartalsabschlüsse an das Mutterunternehmen schicken – das alles unter immensem Zeitdruck.

Und welche inhaltlichen Unterschiede gibt es?

Wang: Einige Posten im Reporting­-Package sind nicht in dem deutschen Jahresabschluss zu finden. Umgekehrt verhält es sich genauso. Mitunter gibt es gleiche Terminologien mit unterschiedlichen Bedeutungen.

Ein Beispiel: Die Verbindlichkeiten gegenüber Arbeitnehmern sind immer im Reporting­-Package gefragt. Der Betrag ist durch Addierung bestimm­ter Kontensalden aus sonstigen Verbindlichkeiten und sonstigen Rück­stellungen zu ermitteln. Der Posten Bestandsveränderung im deutschen Jahresabschluss bleibt ein Rätsel für das Mutterunternehmen.

Bei der Zusammenarbeit treffen zwei Kulturen aufeinander. Wodurch macht sich das konkret bemerkbar?

Wang: Die chinesische Kultur ist geprägt durch Harmonie. Man denkt direkt an Yin und Yang. Chinesen versuchen, Konflikte zu vermeiden und Negatives durch die Blume zu sagen. Die sprachliche Barriere ist dadurch gekennzeichnet, dass zwar alle Wörter verstanden werden können, aber der Sinn und Zweck nicht.

In China läuft die Planung, Entscheidung, Umsetzung sowie Anpassung schneller. Chinesen sind nicht daran gewöhnt, erst nach der Fertigstel­lung eines „Decision Tree“, welcher alle möglichen Chancen und Risiken einbezieht, zu starten. Sie leiten nach der Planung bereits die ersten Schritte ein. Für Deutsche erscheinen die Chinesen zu vage. Chinesen empfinden die Deutschen als zu starr.

Worin liegt Ihrer Erfahrung nach das größte Konfliktpotential?

Wang: Oft mangelt es an frühzeitiger Kommunikation. Dies hat zur Folge, dass die Änderungen in den CAS unzutreffend im Reporting-­Package ab­ gebildet werden. Ein Beispiel aus 2019: Im Jahresabschluss hatten viele Tochterunternehmen Probleme, die Leasingsheets auszufüllen und die Leasingassets/­liability zu berechnen. Schwierigkeiten entstanden bei der Ermittlung der vollständigen Leasingverträge, insbesondere:

  • wenn es sich um einen Zwischenkonzern handelte, der versuchte, die Leasingverträge der Tochterunternehmen vollständig zu erfassen oder in die Datenbank aufzunehmen,
  • bei der Ermittlung der Diskontierungszinssätze,
  • bei der rechnerischen Abbildung der Leasingeffekte.

Dies hätte das Mutterunternehmen frühzeitig dem Tochterunternehmen kommunizieren müssen und Hilfestellung geben können.

Vielen Tochterunternehmen fehlten die standardisierten Prozesse für das Reporting. Es mangelte an der Konsistenz sowie der Vergleich­ barkeit. Dies führte zu Fragen durch den Konzernabschlussprüfer und das Mutterunternehmen. Diverse zusätzliche Informationen, die im Repor­ting­-Package zu berichten sind, lassen sich nur schwer aus dem lokalen Informationssystem herleiten.

Wie lässt sich dieser Konflikt vermeiden?

Wang: Eine effektive Kommunikation ist sehr wichtig. Darunter fällt nicht nur die Sprache, sondern vielmehr auch das Fachwissen. Zudem spielt Empathie eine große Rolle. Ich weiß, dass Fachkräfte, die sowohl über Sprach­ als auch Fachkenntnisse und kulturelle Kompetenz verfügen, schwer zu finden sind. Daher trägt die Unterstützung durch qualifizierte und erfahrene Dienstleister zur Vermeidung von Konflikten bei.

Was raten Sie den Unternehmen in puncto guter Zusammenarbeit?

Wang: Ganz einfach: Vertrauen aufbauen. Die chinesischen Kollegen hören ungern: „Das ist nach den deutschen Regelungen einfach so!“ Vielmehr erwarten sie eine Erklärung. Mit diesem Satz wird eine Mauer des Misstrauens gebaut. Die meisten Fragen, die mir als Dozentin gestellt werden, fangen an mit: „Meine deutschen Kollegen sagen mir, dass es nach den deutschen Gesetzen und Vorschriften so richtig ist. Stimmt das?“ Aus meiner Praxis weiß ich: Es gibt nichts, was nicht zu klären ist. Auch die deutschen Kollegen erwarten, dass die chinesischen Kollegen sie mehr über die Reporting­-Anforderungen aufklären, damit sie zielorien­ tiert arbeiten können. Also, effektive Kommunikation ist der Schlüssel! Put yourself in someone’s shoes. Immer daran denken: Das, was für dich selbstverständlich ist, kann für die anderen fremd sein.

Vielen Dank für das Gespräch.


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