Abschaffung der Umsatzsteuer als Ausweg aus der Krise

Ein Kommentar von Dipl.-Finw. Ralf Sikorski

Steuern sind keine Erfindung unserer modernen Zeit, sie sind unerlĂ€ssliche Begleiter unserer Zivilisation. 1916 wurde im Deutschen Reich zur Finanzierung der MilitĂ€rausgaben zunĂ€chst eine Warenumsatzstempelsteuer eingeführt, die schon 1918 zu einer Umsatzsteuer ausgebaut wurde. Der Vorsteuerabzug für entsprechende Vorbelastungen war noch nicht erfunden, bis 1967 nahm man eine Steuerkumulation in der Unternehmerkette in Kauf, was aufgrund der niedrigen SteuersĂ€tze (zunĂ€chst 1 %, ab 1918 dann 0,5 %, ab 1920 dann 1,5 %) zu verkraften war.
Zum 01.01.1968 wurde die All-Phasen-Netto-Steuer mit Vorsteuerabzug, wie wir sie heute kennen, auch in Deutschland eingeführt. Egal, wie viele Produktions- und Handelsstufen ein Handelsgegenstand von der Produktion bis zum Endverbrauch durchlĂ€uft, durch diese
Konstruktion wurde die Entlastung in der Unternehmerkette gewÀhrleistet.

Das einfache Prinzip führte dazu, dass die Umsatzsteuer seinerzeit als „Buchhaltersteuer“ diffamiert wurde, dafür war es aber auch ohne Hochschulstudium für einen Praktiker zu handhaben. Diese EinschĂ€tzung gehört mittlerweile der Vergangenheit an, denn kaum ein Rechtsgebiet hat in den letzten Jahren derart an KomplexitĂ€t und Bedeutung gewonnen. Die Umsatzsteuer hat sich zu einem komplizierten Gebilde aus nationalem Umsatzsteuerrecht und EU-Recht entwickelt, überwuchert mit Ausnahmeregelungen und unsystematischen Bestimmungen, flankiert durch eine sehr stark profiskalische Sichtweise der Verwaltung und schwer nachzuvollziehende Entscheidungen des EuGHs, eingebettet in eine befremdliche Begriffswelt von Anwendungsvorrang und richtlinienkonformer
Auslegung.

Bürokratiemonster

Selbst die EU-Kommission merkte an, dass „das System der Mehrwertsteuer insbesondere kleinen und mittleren Unternehmern zu schaffen macht“, weil es „zu fragmentiert und zu kompliziert ist.“ Nicht selten sind heute die Kosten zur Befolgung der ausgefeilten Mehrwertsteuer-Vorschriften höher als die damit verbundene Abgabe. Ein Umstand, der zwar allenthalben Kopfschütteln nach sich zieht, nur eben keine Anpassung der Vorschriften. Die Abschaffung der Umsatzsteuer in der Unternehmerkette und eine Umwandlung in eine Einzelhandelssteuer würde viele aktuelle Probleme lösen – aber natürlich auch unzĂ€hlige Mitarbeiter der Ministerialbürokratie und der steuerberatenden Berufe unglücklich machen. Bei Schaffung der Umsatzsteuer war ein einmaliger Zugriff, wie wir es von Verbrauchsteuern kennen, aus politischen Gründen nicht gewünscht. In der heutigen digitalen Welt erzeugen sich Betrüger aber ihre fiktiven Eingangsrechnungen selbst und melden nicht existente Guthaben bei den FinanzĂ€mtern an. Der Gesetzgeber muss stĂ€ndig nachbessern. Wir gründen Task-Forces zur BekĂ€mpfung des Umsatzsteuerbetrugs und fordern allen Ernstes die Einführung eines elektronischen Meldesystems, das für die Erstellung, Prüfung und Weiterleitung für sĂ€mtlicher Rechnungen in ganz Europa verwendet werden soll. So beruft sich der Koalitionsvertrag der Ampel auf die guten Erfahrungen in Italien mit einer solchen staatlichen Schnittstelle, ohne überhaupt in ErwĂ€gung zu ziehen, dass es immer noch Menschen gibt, die gar keine Rechnungen schreiben und so den Staat schĂ€digen.

Vorsteuerabzug abschaffen

Ein solches Bürokratiemonster würde erhebliche Investitionen erfordern – Geld, das zur Erfüllung wichtigerer Ziele benötigt wird. Da sich der Vorsteuerabzug lĂ€ngst zur Achillesferse des Umsatzsteuerrechts entwickelt hat, wĂ€re es naheliegend, diesen abzuschaffen. Die Entlastungswirkung für Unternehmer könnte erreichen, wenn es die Umsatzsteuer in der Unternehmerkette gar nicht mehr gĂ€be, sondern diese nur noch von Unternehmern erhoben wird, die an Endverbraucher leisten. Es gĂ€be keinen Vorsteuerabzug mehr und folglich wĂ€re keine BetrugsbekĂ€mpfung mehr erforderlich.

„Vielleicht ist die Zeit für radikale DenkansĂ€tze gekommen.“

Und in einer digitalen Welt sollte es uns wohl auch gelingen, Unternehmer, die nur teilweise steuerpflichtige UmsĂ€tze erzielen, durch entsprechende Kennungen zutreffend zu behandeln. Schließlich kennt das Umsatzsteuerrecht schon heute für diese atypischen Unternehmer unzĂ€hlige Sonderregelungen.
Ein zwingendes Reverse-Charge-Verfahren für RechnungsbetrĂ€ge über 5.000 €, wie politisch gefordert, würde ein umsatzsteuerliches Parallelsystem mit sich bringen und keine wirkliche Lösung. Die Kommission hĂ€lt einen Neustart für dringend erforderlich, was aber erhebliche VerĂ€nderungen des jeweils nationalen Steuerrechts mit sich bringen würde. So geht die Kommission auch davon aus, dass es „politischer Führungskraft bedarf, um die tief verwurzelten Hindernisse zu überwinden, um endlich die notwendigen Reformen zu verabschieden“. Es bleibt zu wünschen, dass die EuropĂ€er dieses Konzept sorgfĂ€ltig prüfen, einschließlich des Vorschlags der Kommission, endlich das Einstimmigkeitsprinzip im Steuerrecht aufzugeben. Dies war bislang das grĂ¶ĂŸte Hindernis zur Durchsetzung ernsthafter Reformen. Vielleicht ist die Zeit für radikale DenkansĂ€tze gekommen.
 

Mehr ĂŒber den Autor:

Dipl.-Finanzwirt Ralf Sikorski ist nach langjĂ€hriger DozententĂ€tigkeit an der Fachhochschule fĂŒr Finanzen in Nordrhein-Westfalen heute Sachgebietsleiter in einem Finanzamt. Seine Dozentenrolle nimmt er daneben immer noch bei zahlreichen Fortbildungsveranstaltungen wahr. DarĂŒber hinaus hat er sich als Autor diverser steuerlicher Lehr- und PraktikerbĂŒcher einen Namen gemacht. Seine StilblĂŒtensammlungen „Meine Frau ist eine außergewöhnliche Belastung“, „Wo bitte kann ich meinen Mann absetzen“ und „Ich war Hals ĂŒber Kopf erleichtert“ sowie das MĂ€rchenbuch „Von Steuereyntreibern und anderen Blutsaugern“ runden sein vielfĂ€ltiges TĂ€tigkeitsbild ab. Sein aktuelles satirische Werk â€žIm Namens des Volkes“ erhĂ€ltlich im Erich-Schmidt-Verlag finden Sie hier.

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